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Brainspotting
Trauma und dessen Erinnerung im Körper
Jede bedeutsame körperliche oder emotionale Verletzung oder Belastung, der ein Mensch ohnmächtig oder hilflos ausgesetzt ist, kann wie ein traumatisches Erlebnis Hilfe bei der Verarbeitung erfordern. Kritische Lebensereignisse wie Verletzungen, chronische Schmerzen, schwere Krankheiten und medizinische Eingriffe, Flucht, Kriegsgeschehen oder Umweltkatastrophen können sich zu einem selbst nicht zu bewältigenden Maß an Lebenstraumata addieren. Es ist der Körper, der diese Traumata in sich trägt.
Ist unser Körper einer überwältigenden bedrohlichen Situation ausgeliefert, reagiert er zunächst mit dem Kampf-Flucht-Reflex, das heißt mit einer starken Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Ist Kampf oder Flucht nicht möglich, bleibt dem Organismus nur noch der Totstellreflex, also ein Zustand der Erstarrung und Lähmung, der mit einer extremen Blockierung des sympathischen Nervensystems verbunden ist. Der Kern der Reflexsteuerung befindet sich dem Bewusstsein unzugänglich tief im Hirnstamm. Er liegt außerhalb unserer bewussten Kontrolle so wie die Atmung, der Blutkreislauf und das Verdauungssystem.
Bei Traumatisierung bleibt die Verarbeitung des überwältigenden Ereignisses auf der Ebene der Reflexe, das heißt in den tieferen Hirnstrukturen "stecken". Das Erleben der Bedrohung wird hier sozusagen eingefroren und ist für unser Bewusstsein schwer oder gar nicht mehr veränderbar. Man kann eine Traumatisierung als biologisch unvollendete Reaktion verstehen, die sich auf körperlicher Ebene nur noch in Form somatischer Beschwerden ausdrücken kann.
Was ist Brainspotting?
Brainspotting ist ein körperzentrierter Ansatz. Es ist eine sehr zielgerichtete Behandlungsmethode, um die zentralen neurophysiologischen Quellen emotionalen oder körperlichen Schmerzes, von Trauma, Dissoziation und einer Reihe anderer Symptome zu finden, zu verarbeiten und zu lösen. Demnach leistet Brainspotting beides gleichzeitig, Diagnostik und Behandlung.
Brainspotting ist ein neurobiologisches Instrument, das im Rahmen einer klinisch-therapeutischen Beziehung unterstützend eingesetzt werden kann. Bei der Behandlung von Traumata ist nichts wertvoller als die therapeutische Beziehung. Nichts kann für den Klienten die Erfahrung einer sicheren und vertrauensvollen Beziehung, in der er sich verstanden und akzeptiert fühlt, ersetzen.
Mit Brainspotting existiert ein Mittel, innerhalb dieser therapeutischen Beziehung Erfahrungen und Symptome, die jenseits des bewussten sprachlichen Zugriffs liegen, neurobiologisch zu lokalisieren, zu fokussieren, zu verarbeiten und schließlich aufzulösen.
Wie funktioniert Brainspotting?
Ähnlich wie bei EMDR wird bei Brainspotting ein emotional belastendes Ereignis erinnert. Dabei folgen die Augen einer langsamen Handbewegung des Therapeuten/der Therapeutin durch das Gesichtsfeld des Klienten/der Klientin. Wird die kontinuierliche Augenbewegung durch eine unwillkürliche Reaktion wie zum Beispiel starkes Blinzeln unterbrochen, hat man an dieser Stelle einen Brainspot gefunden.
Ein Brainspot kann über die Augenposition, die mit der Aktivierung des traumatischen oder emotional geladenen Themas im Gehirn einhergeht, gefunden werden. Diese Aktivierungen liegen typischer Weise in der Amygdala, dem Hippocampus oder dem orbifrontalen Cortex des lymbischen Systems. Ein Brainspot bietet assoziativen Zugang zu einem neuronalen Netzwerk, das emotionale Erfahrungen als Gedächtnisinhalte speichert.
Brainspotting wirkt auf die tieferen Hirnstrukturen und im Körper durch seinen direkten Zugang zum autonomen und lymbischen System des Zentralnervensystems. Es ermöglicht einen Zugang bis auf die Reflexebene und löst dort das Trauma auf. Brainspotting legt das Trauma im Kern frei, das Symptom, die körperliche Belastung und die Verbindung zu dysfunktionalen Überzeugungen.
Der Brainspot kann sowohl durch äußerlich beobachtbare reflexartige Reaktionen durch den Therapeuten/die Therapeutin lokalisiert werden ("outside window") als auch durch den Klienten /die Klientin selbst, über innerlich erfahrbare unwillkürliche Körperreaktionen ("inside window"). Bei Brainspotting durch das "inside window" arbeiten Therapeut/in und Klient/in Hand in Hand, um Brainspots aus körperlich oder affektiv höchst belastenden Erfahrungen über den "felt sense", also einer vorsprachlichen Empfindung einer Bewertung, des Klienten/der Klientin zu identifizieren.
Wird ein Brainspot stimuliert, signalisieren Reflexe, die in den tieferen Strukturen des Gehirns ausgelöst werden, dem Therapeuten/der Therapeutin, dass ein bedeutendes Areal stimuliert wurde. Unwillkürliche Reaktionen können dabei zum Beispiel Zuckungen der Augen, Flattern, Fixierungen, Blinzeln (heftiges oder doppeltes Blinzeln), Pupillenerweiterung oder -zusammenziehen, Verengen der Augen, Zuckungen im Gesicht, Stirnrunzeln, Schnauben, Schlucken, Gähnen, Husten, Kopfnicken, unwillkürliche Handbewegungen, Fußbewegungen und Veränderungen der Körperhaltung sein.
Um den Brainspot weiter zu stimulieren und Zugang zu den traumatischen Gedächtnisinhalten zu finden, wird die Augenposition des Klienten/der Klientin fixiert, während dieser sich weiter auf das sensorische Erleben der Symptome oder auf das zu bearbeitende Problem fokussiert. Die Fixierung der Augenposition während der Aufmerksamkeitsfokussierung auf den "felt sense" scheint einen tiefgreifenden Selbstheilungsprozess in Gang zu bringen.
Dieser Verarbeitungsprozess, der auf der Reflexebene bzw. auf der Ebene des Zentralnervensystems geschieht, geht einher mit einer Löschung von vorher konditionierten physiologischen Reaktionen. Brainspotting befähigt den Körper, praktisch sich selbst vom Trauma zu heilen. Hypothesen besagen, dass Brainspotting sich hier die Eigenschaft des Gehirns zur Selbstregulation zu Nutze macht, um maladaptive Zustände zu verarbeiten und in ein neues Gleichgewicht zu bringen.
Brainspotting kann nicht nur auf Belastungen, sondern auch besonders wirksam auf den Aufbau und die Stärkung von Ressourcen gerichtet werden. Diese Ressourcen ermöglichen es dem Klienten/der Klientin und dem Therapeuten/der Therapeutin, in der Therapie zwischen ressourcenvollen positiven Zuständen und der Aktivierung des Traumas zu pendeln, um eine sukzessive abgestufte Verarbeitung und Desensibilisierung zu erreichen.
Anwendungsgebiete von Brainspotting
Brainspotting ist ein physiologisches therapeutisches Instrument, das in eine Reihe von Behandlungsansätzen integriert werden kann. Brainspotting kann komplementär zu verschiedenen körperzentrierten Therapieverfahren eingesetzt werden, wie zum Beispiel in der Körpertherapie, Chiropraktik, Akupunktur, Krankenpflege oder Medizin. Brainspotting bietet einen neurobiologischen Zugang zu verschiedenen somatischen oder emotionalen Problematiken.
Es kann effektiv und effizient eingesetzt werden bei körperlicher, sexualisierter oder emotionaler Traumatisierung, zur Unterstützung der Rehabilitation nach Unfalltrauma, bei Trauma nach medizinischen Eingriffen, bei Stress und traumabezogenen somatischen Krankheiten, bei Funktionsstörungen inklusive Sexualstörungen, Fibromyalgie und anderen chronischen Schmerzsyndromen, bei Substanzmissbrauch und -abhängigkeit (vor allem Craving), ADS und ADHS, Wahrnehmungseinschränkungen, Stottern, bei umweltbedingter Krankheit und Chronischem Schlafsyndrom, Phobien, Asthma, Vorbereitung auf und Rehabilitation von Operationen, Trauma nach Kriegsgeschehen und Naturkatastrophen, Aggressionsproblematiken, Ängstlichkeit und Panik und beim Umgang mit schweren Erkrankungen.
David Grand
David Grand, PhD, entdeckte und entwickelte Brainspotting. Er ist Psychotherapeut in freier Praxis in New York, ehemaliger Mitarbeiter des EMDR-Instituts von Francine Shapiro mit psychoanalytischer Ausbildung und EMDRIA-akkreditierter Supervisor. David Grand ist ein international anerkannter Experte für Traumatologie. Er widmet sich eingehend der Weiterentwicklung und Verbesserung der modernsten Behandlungsverfahren für Traumata und der möglichst breiten Weitervermittlung dieser Verfahren. Er ist Ausbilder für EMDR und Brainspotting und gibt Seminare zur Traumabehandlung und Leistungssteigerung (Performance Enhancement) in den USA, Europa, dem Mittleren Osten und in Südafrika. Er ist Entwickler und Produzent von CDs zur akustischen bifokalen Stimulierung (BioLateral Sound Recordings) und Verfasser des Buches "Emotional Healing at Warp Speed: The Power of EMDR".